Prof. Michael Weyrich, Leiter des Instituts für Automatisierungstechnik und Softwaresysteme an der Universität Stuttgart und Prof. Frank Mantwill von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg äußern sich im Rahmen ihrer Arbeit im Interdisziplinären Gremiums Digitale Transformation (IGDT) des VDI zu der Frage wie man Daten wertschöpfend verarbeiten kann.
Link zum Artikel: https://blog.vdi.de/2021/04/daten-wertschoepfend-verarbeiten/
Spielregeln der Digitalisierung - Daten wertschöpfend verarbeiten
Bitte erwarten Sie jetzt bloß kein Rezept, das aufzeigt, wie sich die Digitalisierung umsetzen lässt. Denn die Wahrheit ist: Man kann sich diesen Prozess nicht „am Stück“ kaufen, frei nach dem Motto „Plug and Play“ der frühen Windows-Ära.
Bei allen angekommen sein sollte, dass man die Digitalisierung und deren umfassendes Mehrwertversprechen für eine prosperierende Wirtschaft in Deutschland und Europa in der Zukunft unbedingt benötigt. Zudem bestehen grundsätzlich keine Zweifel an der Sinnfälligkeit neuer datenbasierter Funktionalitäten; beispielsweise: Wer findet heute noch ohne Navigations-App den Weg zu einer unbekannten Adresse?
Allerdings gibt es für die industrielle Praxis doch sehr viele Aspekte zu klären. Dazu muss man sich in den Unternehmen mit den Themen intensiv befassen. So „einfach nebenher“ reicht es in der Regel nicht aus, um gute Ergebnisse zu erhalten. Zudem braucht es einen ernsten Willen, sich mit den Spielregeln der Daten- und Software-Welt genauer auseinanderzusetzen und auch andere Geschäftsmodelle anzunehmen. Setzen diese auf neue Plattformen auf, so kommt schnell eine Vielzahl weiterer Herausforderungen hinzu.
Wie es besser nicht sein sollte
Aus der Praxis kann man viele Geschichten erzählen, wie es besser nicht sein sollte. Hier ist eine: Der Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens hegt den Wunsch, Big Data für neue Services einzusetzen. Auf Druck der Eigentümerfamilie sollten im Unternehmen neue digitale Dienstleistungen entwickelt werden, etwa im Bereich der prädiktiven Instandhaltung.
Leider unterschätzte die Geschäftsführung die Notwendigkeit, sich mit den technischen Teilnehmern über die Relevanz des Vorhabens auszutauschen und den Willen zu Veränderungen in den bestehenden Strukturen zu bekräftigen. Es ist erstaunlich, mit welcher Intensität sich die Teilnehmer mit Verweis auf zu viele andere Aktivitäten selbst aus der Diskussion nahmen. Die Komplexität der möglichen Veränderung und die eventuellen Risiken aufgrund fehlender Akzeptanz bei den Kunden wurden zum Anlass genommen, das Thema zu verschleppen.
Nach langem Hin und Her wurde schließlich ein neuer Server für die IT-Abteilung beschafft. Immerhin konnte in diesem Fall eine Investition in eine neue Software zur Realisierung großer IoT-Netze verhindert werden, da diese das Unternehmen wirklich nicht hätte sinnstiftend einsetzen können. Schließlich hatte man gar nicht so viele Maschinensysteme im Einsatz, um diese Infrastruktur sinnvoll zu nutzen. Die tatsächlichen Herausforderungen liegen eher in anderen Bereichen, die aber gar nicht weiter diskutiert wurden. Der neue Server half im Weiteren bei diesen Themen auch nicht weiter.
Die Künstliche Intelligenz wird’s schon richten
Ein anderes negatives Beispiel setzt auf dem unerschütterlichen Glauben an Künstliche Intelligenz (KI) auf, und zwar in dem Sinn, dass man in den Betriebsdaten der eigenen Produktion Geheimnisse vermutet hat, mit denen sich große Optimierungen vollziehen lassen. Nur die KI müsse den richtigen Hinweis darauf geben, wo der Hase im Pfeffer liegt. Allerdings hatte sich niemand vorher Gedanken gemacht, in welchem Rahmen solche Optimierungen kausal auftreten könnten. Unklar war insbesondere auch, welches Spektrum an Daten man benötigen würde, in denen die erahnten Schwierigkeiten überhaupt einen Niederschlag gezeigt hätten, den eine KI identifizieren kann. Häufig empfehlen externe Beratungen, einen Datenteich (Data-lack) anzulegen und daraus dann die kapitalen Hechte zu fischen. Vielfach bleibt es dann aber beim Fischen im Trüben oder dem alten Stiefel am Haken.
Noch ein drittes Beispiel gefällig? Bitteschön: Daten sind das Gold von Morgen. Also installiert das Unternehmen aufwendig in seine automatisierten Anlagen und rüstet Schnittstellen nach, mit denen Daten aus den Steuerungen der Produktionsmittel gezogen werden können. Dieses so geschürfte Edelmetall soll an die Hersteller der Produktionsmittel gewinnbringend verkauft werden, können diese damit doch ihre Produkte verbessern. Auch diese Illusion löst sich schnell auf, beispielsweise bei der Klärung von Sicherheitsfragen oder spätestens bei der Festlegung eines Verrechnungspreises für die Daten.
Es braucht ein „Händchen für die Sache“
Diese Beispiele machen deutlich: Es geht erstens um die Motivation, sich mit den Themen zu befassen, und zweitens um das Gespür für wertstiftende Funktionalität sowie für neue Geschäfte. Es gibt viele weitere Beispiele, wie Unternehmen Chancen übersehen oder sich schlicht ungeschickt bei der operativen Umsetzung anstellen und so Projekte der Digitalisierung scheitern. Doch welche Fragen sind unbedingt anzugehen? und welche Kompetenzen benötigt man dazu?
In den Unternehmen braucht es ein „Händchen für die Sache“ und viel Pragmatismus in der Umsetzung. Musterbeispiele, das heißt „Best Practice“ kann helfen, Ideen zu generieren und gute Entscheidungen zu treffen. Aber es liegt oft auch an Einzelnen im Unternehmen, die durch ihre Ideen und Kompetenzen einen Beitrag leisten können, sofern sie Gehör in der Organisation finden. Dabei sind Daten und Software als wichtige Elemente zu verstehen und zur Vernetzung in den Produkten und zur Automatisierung im ganzen Unternehmen einzusetzen.
Unklarheit auf vielen Ebenen
Wo kann man sich Musterbeispiele anschauen, um sich inspirieren zu lassen? Welche informationstechnischen Fähigkeiten werden benötigt? Welche Technologien sind zu benutzen und wo lohnt es sich, zu investieren? Wer kennt sich damit aus? Sind Data-Scientist und IT-Berater mit dem richtigen Auftrag ausgestattet, um eine wertschöpfende Verarbeitung von Daten mit Software durchzuführen? Benötigt man eine komplett neue IT im Unternehmen oder gar die technologische Inspiration und Macht der Internetkonzerne?
Man muss kein Data-Scientist sein, um eine Vorstellung darüber zu entwickeln, welche Wirkung die Algorithmen und Softwaresysteme entwickeln können und welche Geschäftseinheiten von einer Digitalisierung profitieren. Gerade, wenn es um zukünftige Innovationen geht, braucht es die entsprechende Fachkompetenz als Voraussetzung. Obwohl die Diskussion um den Einsatz von Daten, der Künstlichen Intelligenz und deren Auswirkungen in Deutschland bemerkenswert breit geführt wird, ist das Wissen, wie sich Wertschöpfung auf dieser Basis generieren lässt, nicht sehr ausgeprägt.
Ideen für neue Geschäftsmodelle fehlen
Aber weshalb ist das so? Nun, oft fehlen eine Grundvorstellung und das Gespür für den Themenkomplex Daten und Software. Der Grund ist, dass die Bestandsgeschäfte anderen Prinzipien folgen. Ideen für neue Geschäftsmodelle auf der Basis von Daten, für die Optimierung der Unternehmensprozesse oder für technische Finessen zur Veredelung von Bestandsprodukten fehlen weitgehend.
Um langfristig die Kompetenz im Unternehmen sicherzustellen, gehört das Thema Software- und Daten-Kompetenz in die Lehrpläne der Bildungseinrichtungen, wobei Informatik, Ökonomie und Ingenieurwissenschaften näher zusammenrücken müssen für eine erweiterte Fähigkeit zur Interdisziplinarität. Auf allen Ebenen sollten Menschen mit den Möglichkeiten, Konzepten und Verfahren vertraut gemacht werden.
Das ist mindestens genauso wichtig wie die Befähigung derjenigen, die aktuell in ihren Unternehmen entscheiden, ob und wie neue, datenzentrierte Angebote entwickelt werden sollen. Alle Aspekte in Sachen Daten und Software sollten daher im Sinn einer strategischen Agenda im Unternehmen und in den Führungsstrukturen Einzug finden und insbesondere die Aus- und Weiterbildung stärken.
Autoren: Prof. Dr. Michael Weyrich (Leiter des Instituts für Automatisierungstechnik und Softwaresysteme an der Universität Stuttgart) und Prof. Dr. Frank Mantwill (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg)