Fokusthema: Digitale Zwillinge für virtuelle Probeläufe werden immer leistungsfähiger – dank einheitlicher Standards.
Umbau in der Fabrikhalle: Neue Maschinen werden in die Fertigungsprozesse integriert, die Software bekommt ein Update. Doch der Wiederanlauf läuft noch nicht rund. Nachbesserungen sind nötig. Im Werk bekommt davon niemand etwas mit. Denn der Umbau wird zuvor an einem digitalen Zwilling der Anlage erprobt. Das Simulationsmodell kennt die Funktionen aller Maschinen, besitzt idealerweise historische Daten zu deren Betriebsverhalten und nutzt dieselben Steuerungsprogramme.
In der Industrie ist das teilweise bereits Realität. Auch in vielen anderen Branchen werden virtuelle Abbilder schon erprobt, beispielsweise, um die Logistik in Städten zu optimieren oder individuelle Behandlungsmethoden in der Medizin zu entwickeln.
Transfer in die Praxis soll jetzt Mehrwert schaffen
Für Michael Weyrich, Vorsitzender der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (GMA), haben die übersteigerten Erwartungen den Scheitelpunkt bereits überschritten. „Was jetzt noch fehlt, ist der Transfer in die Praxis, um damit tatsächlichen Mehrwert zu schaffen“, sagt er gegenüber VDI nachrichten.
Die Vorreiterrolle der Industrie begründet sich mit ihrer Arbeit an der Plattform Industrie 4.0, die Standards für die Beschreibung der virtuellen Abbilder definiert hat. Die Feinarbeit an den digitalen Zwillingen ist hier bereits im Gange, z. B. um damit produktspezifische CO2-Bilanzen zu erstellen.
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Digitale Zwillinge nehmen Gestalt an
Virtuelle Modelle werden immer besser. Zum Durchbruch in der Praxis fehlen aber noch Standards für den Datenaustausch. Die Industrie ist hier bereits auf dem richtigen Weg.
Kaum eine Technikmesse kommt inzwischen ohne ihn aus: „Der digitale Zwilling ist aktuell in aller Munde“, bestätigt Michael Weyrich, Vorsitzender der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (GMA). Der Direktor des Instituts für Automatisierungstechnik und Softwaresysteme an der Universität Stuttgart sagt aber auch: „Für uns Forscher ist das aber etwas, was wir schon lange kennen.“ Für ihn haben die digitalen Zwillinge für die Industrie im Hypezyklus bereits den Punkt der übersteigerten Erwartungen überschritten. „Was jetzt noch fehlt ist der Transfer in die Praxis, um damit tatsächlichen Mehrwert zu schaffen“, so der Experte. Strukturen, die solche Mehrwerte schaffen, und Systeme, mit denen sich so etwas abbilden lässt, gebe es bereits. „Aber vieles wurde noch nicht zu Ende gedacht“, verdeutlicht Weyrich. Deshalb werde auch noch weiter an digitalen Zwillingen geforscht.
Was macht einen digitalen Zwilling aus?
Für digitale Zwillinge gibt es bisher keine einheitliche Definition/Beschreibung. Die Gesellschaft für Informatik definiert digitale Zwillinge beispielsweise als „digitale Repräsentanzen von Dingen aus der realen Welt“, die sowohl physische Objekte als auch nicht-physische Dinge wie zum Beispiel Dienste beschreibt. Doch in der Praxis wird der Begriff aktuell als Synonym für verschiedene digitale Produktmodelle genutzt.
Frank Schnicke vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software-Engineering (IESE) empfiehlt daher bei Gesprächen vorab zu klären, was die Beteiligten unter einem digitalen Zwilling verstehen. Eine gute Differenzierung bietet für ihn die Unterscheidung zwischen dem digitalen Modell, dem digitalen Schatten und dem digitalen Zwilling. „Das digitale Modell, beispielsweise ein CAD-Modell, beschreibt zwar die Realität, ist aber nicht damit verbunden. Der digitale Schatten bildet dagegen die Realität digital ab und stellt damit einseitig die Verbindung zwischen den beiden Welten her. Die Realität wirft im übertragenen Sinne einen Schatten in die digitale Welt. Wenn ich den Zyklus noch schließe und auch aus dem digitalen Modell die Realität beeinflussen kann, dann habe ich einen digitalen Zwilling. Das heißt, wenn ich Konfigurationen am virtuellen Modell ändere, verändert sich auch das reale Asset.“
Welchen Bezug hat der digitale Zwilling zum digitalen Engineering?
Rene Fischer vom Fraunhofer IESE sagt dazu: „Der digitale Zwilling ist ein wesentliches Werkzeug für das digitale Engineering.“ Für digitales Engineering brauche man jedoch nicht zwingend einen digitalen Zwilling, aber er vereinfache das Engineering ungemein. Fischer: „Wenn ich einen digitalen Zwilling von einer Fabrik habe, kann ich im digitalen Engineering schauen, was passiert, wenn ich einen neuen Produkttyp einführe. Im digitalen Zwilling habe ich dann alle Informationen konsolidiert. Statt vieler Modelle habe ich damit nur einen interoperablen Zwilling. Wenn ich darüber die richtigen Stellschrauben für den Prozess gefunden habe, kann ich die Änderungen auch direkt in die Realität übertragen.“
In welchen Branchen werden bisher die meisten digitalen Zwillinge eingesetzt?
Rene Fischer sagt dazu: „Die stärkste Präsenz hat das Ganze aktuell in der Produktion. Das hängt auch mit den zahlreichen Aktivitäten dort bei der Standardisierung und Normung zusammen. Mir ist aus keiner anderen Domäne auch nur ansatzweise etwas wie die Verwaltungsschale bekannt.“
Traditionell sind digitale Zwillinge dabei in der Luft- und Raumfahrt stark vertreten, wo Methoden des digitalen Engineerings ihren Ursprung haben. Wie auch in anderen Branchen mit hohen Produktkosten, sind hier die vorherige Simulation und kostensparende Hardware-in-the-Loop-Tests unerlässlich. Auch in der Automobilbranche werden digitale Zwillinge deshalb stark genutzt. Beispielsweise lässt sich hier mit virtuellen Prüfständen viel Geld sparen.
Link:
https://www.vdi-nachrichten.com/technik/informationstechnik/digitale-zwillinge-nehmen-gestalt-an/
Foto: Siemens AG